Videoarbeit
10 Min.
Bild und Ton @ Tim Nowitzki
Alexandra Stein, Tim Nowitzki
Thixotrop, Video, Farbe, Ton, 10:00 Minuten pro Video
Änderung durch Berühren. Griech. thixis = das Berühren; threpo = ich wende, ändere. Die Hände greifen in die Masse.
Formbares Material, das träge auf seinem Untergrund liegt. Hände greifen die Masse, heben sie auf, lassen sie fallen, üben Druck, streichen
über das feuchte Gemisch. Berührungen, die sich im Material speichern und formgebend wirken. Das Bild des Abdrucks kommt mir
in den Kopf. Wie sich der Abdruck der Holzplatte in das Material einprägt, der knetenden Hände und mechanischer Drehbewegung. Verformungen durch Einwirkung. Aber steht das Präfix „ver-“ nicht für den Prozess, in dem sich eine Sache zeitweilig hin zu einer anderen
ändert? Hier wird sich keine Form entwickeln. Kaum merkbar im Betrachten der ständigen Wiederholungen, der
Kraftanstrengungen, bleibt die thixothrope Wirkung der Porzellanmasse. Als nichtnewtonsches Fluid hat das
Material die unerwartete Eigenschaft, dass es durch Berührung seine Viskosität verliert, sich verflüssigt.
In der Berührung zwischen formgebender Person und Materialwirkung entsteht eine gegenläufige Performativität. Die Bearbeitung
des Materials und die Verformungen, werden zu einem fragilen, hinfälligen Prozess. Die Porzellanmasse, die sich erwartungsgemäß nach Fremdwirkungen ausrichtet, der Warenproduktion gefügig ist, entrinnt. Fragilität entsteht in der Berührung.
In den Bildausschnitten der Videoarbeit zeigen sich in wiederholenden Handbewegungen
die klassischen Arbeitsschritte der Materialaufarbeitung vor der formgebenden Phase: Im Schlagen der Rohmasse wird Luft
verdrängt, sie könnte später das Gefäß im Brand zerstören. Das Kneten sorgt für die Schmiegsamkeit des Ton-Sand-Wasser-Gemischs, zuletzt wird die Masse zur Stabilität und Gleichmäßigkeit auf der Drehscheibe zentriert. Zwischen den Fingern und unter der Hand befindet
sich in feinen Körnern das Material.
Gemahlene Partikel des fettigen Tonminerals Kaolin bewirken die Formbarkeit der Porzellanmasse und ihre Feuerfestigkeit.
Feldspat wird im Brand das Gemisch zum Fließen bringen und verbinden, gibt dem gebrannten Porzellan Glanz. Stabilisierend wirkt der Quarz. Wie konnte dieses Wissen über die Nutzung der Rohstoffe zur Herstellung von Porzellan geschöpft werden? Erkenntnis durch
Tasten?
Im Betrachten der Videoarbeit von Alexandra Stein und Tim Nowitzki legt sich das Schmatzen der Rohmasse im Moment der
Berührung über meine Erinnerung zur Geschichte und den darin gebetteten Gefäßen. Materialgeschichte in Prototypen abgespeichert: die Vase mit Bauch und einem sich öffnenden Hals, Blumenranken, Figuretten die als zweigeschlechtliches Paar spielerisch
ihre Körper zusammenbringen – Bewegung im Brand erstarrt – Kostüme aus Pastell, Geschirre die in deutschen Haushalten
durch Generationen wanderten, Goldrand auf weißem Grund. Eine Hybris die sich im Material vermitteln sollte. In Alexandra Steins Atelier werden diese
Formen überwuchert, lösen sich so aus der ihr anhaftenden historischen Verstarrung und damit auch ihrer eingeschriebenen
Wertig- und Sittlichkeiten. Die ist ja wie ist der Titel einer Vasenserie. Hier finde ich den Prototyp Bauch und schmaler 6 sich öffnender Hals,
Funktion Blumenvase, Deko-Objekt in adrett gemachten Räumlichkeiten. Alex Steins Material Assemblagen, die sie auf die
Grundform aufbringt, erinnern an massige Verzierungen des Barocks, stören die Assoziation und widersetzen sich der Zuschreibung. Ein sonderbares grobporiges Gestein durchbricht den Hals aus Porzellan. Shimmering objects die dem Starren widerstreben. Im Schmatzen des
Materials tilgen sich Assoziationen und Erinnerungen die durch Wissen, Reproduktionsprozesse und Performanzen in
unseren Körpern gelagert sind. Im Prozess der gegenläufigen Performativität wird das Material entrinnen.
J.H.